Über den Schmerz

Was wollen Sie anstelle des Schmerzes empfinden?

Viele Migräne- und Schmerzpatienten werden diese Frage zu Beginn einer Therapie als absurd zurückweisen oder sie damit beantworten, dass sie „keine Schmerzen“ empfinden wollen.

Das Problem dabei ist, dass das Unterbewusstsein Verneinungen nicht versteht. Um diese Aussage nachvollziehen zu können, machen Sie grad einmal ein kleines Experiment:  Vergessen Sie die Zahl 52 und Denken Sie die nächsten fünf Minuten nicht an blaue Hühner.

Ist es Ihnen möglich, die Zahl 52 nun zu vergessen? Und ist es Ihnen möglich, nicht an blaue Hühner zu denken? Ich nehme an, dass es Ihnen nicht gelingt, da das Gehirn zunächst ein Bild dessen erschaffen muss, was Sie vergessen sollen oder nicht denken wollen. 

Es gibt keine innere Repräsentation für einen Nicht-Zustand oder einen Nicht-Gegenstand. Deshalb versteht das Unterbewusstsein keine Verneinung: Sobald Sie das, was Sie nicht haben wollen, erwähnen, haben Sie es in Ihrem Gehirn bereits erschaffen. Die Formulierung „keine Schmerzen haben zu wollen“ erzeugt daher das Bild oder die Präsenz von Schmerz.

Wohlfühlgedächtnis statt Schmerzgedächtnis

Jeder Schmerz, den wir erleben, schafft ein Engramm, eine Gedächtnisspur im Gehirn und in den Zellen. Mit jeder Wiederholung dieser „Inschrift“ gräbt sich diese tiefer in das Gedächtnis ein - vergleichbar mit einer Spur im Schnee.

Den Mechanismus der Wiederholung des Schmerzes zu unterbrechen ist natürlich im Anfangsstadium einer Schmerzerkrankung am besten zu erreichen, denn was schon gelernt und im Langzeitgedächtnis gespeichert ist, vergisst man nicht so leicht. Ist Schmerz bereits als Langzeitgedächtnis etabliert, gibt es dennoch zwei Möglichkeiten, Schmerz zu überwinden:  

  • Die innere Aufmerksamkeit vom Schmerz ablenken 
  • und statt dessen  auf die Ressource Wohlgefühl richten.

 Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf Schmerz, so geben wir dem Schmerz Nahrung. Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf Wohlgefühl, so wird dieses gestärkt. 

In der Migränetherapie nach Kern wird die Schmerzerfahrung durch manuelle, bewegungstherapeutische oder mentale Interventionen decodiert und auf diese Weise neue Engramme des Wohlgefühls geschaffen. Zu Beginn können das nur kurze Momente sein. Doch durch Wiederholung dieses Prozesses mehren sich die Wohlfühl-Engramme bis sie überwiegen. Es geht darum, eine innere Wirklichkeit des gesunden und schmerzfreien Zustandes entweder neu aufzubauen, wenn diese nicht mehr vorhanden ist, oder aber weiterzuentwickeln und zu stabilisieren, wo schon positive Erfahrungen gespeichert ist sind.

Durch die Unterstützung des Schmerztherapeuten wird gewissermaßen die Sprache des Wohlgefühls wieder erlernt. Und wie beim Erlernen einer Sprache braucht es bei der Migränetherapie Ausdauer und eigenen Einsatz.